Version LIII

RELIGION
Mysterienkulte der Antike


KYBELE I
KYBELE II
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Der Kybelekult

Die Ausbreitung des Kybelekultes und die Überführung in das römische Pantheon 

Im 7./6.Jh.v.Chr. hatte sich der Kybelekult nicht nur im gesamten östlichen Mittelmeer verbreitet, sondern war auch nach Südrussland zu den Skythen vorgedrungen. Man verehrte die Göttin in Palästina und Nordafrika und mit dem phönizischen Handel erreichte sie sämtliche europäische Küsten bis nach Britannien sowie entlang der Flüsse Rhein und Donau - wenn auch weniger intensiv - das Innere des Kontinents. In diese griechische Expansionsphase fiel auch die Ausbildung des Kybelekults als Mysterienreligion.

Trotz oder vielleicht sogar wegen ihrer ungezügelten Kultformen begann man sich in den Städten des 5.Jh.v.Chr. immer mehr für Kybele zu interessieren und verwob sie mit bestehenden Mythen. Diese sollten nicht nur die Anhänger begeistern, sondern auch die urtümlich-eigenartigen Rituale erklären. Als religiöses Zentrum entwickelte sich so in Pessinus ein Geheimkult um Kybele mit besonderen Reinigungsritualen und Kultmahlzeiten rund um einen kleinen schwarzen Meteoriten, in dem man die Göttin repräsentiert sah.

Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung stellte die Errichtung eines eigenen Tempels für den heiligen Stein durch König Attalos Soter von Pergamon in der 2.Hälfte des 3.Jh.v.Chr. dar. Dabei zeigte sich als wie mächtig der Kult angesehen wurde, dass der König von Pergamon den Hauptort unter seine Kontrolle brachte.

Obwohl durch fremde Händler bereits latent vorhanden, machte man in Rom erstmals im Jahre 205 v.Chr. offiziell Bekanntschaft mit Kybele im Rahmen einer Entsühnungsaktion, da man infolge des Zweiten Punischen Krieges dachte, die Harmonie zwischen den Göttern und der Menschenwelt sei aus den Fugen geraten. Die Motivation lieferte folgend ein Spruch der Sybillinischen Bücher, wonach den Römern eine „Mutter“ fehlte. Ratlos ob dieses Orakelspruches wandte sich eine Delegation des Senats an das Orakel von Delphi, welches nicht nur für die Weissagung, sondern auch für die Interpretation berühmt war. Dort erfuhr man von der Mater Deum Magna Idae (Grosse Mutter der Idäischen Berge) in Phrygien und man beschloss umgehend die Kultgegenstände vom Heiligtum Pessinus nach Rom zu überführen. Nach der Einführung des Kultes in Rom begann man eine geeignete Kultstatue aus Silber zu schaffen, während man den Kultstein in den Tempel der Victoria am Palatinhügel brachte. Die Einweihung der Statue in eigenem Tempel in der Südwestecke des Palatin erfolgte jedoch erst 191 v.Chr. 111 v.Chr. und 3 n.Chr. fielen weite Teile der Anlage einem Brand zum Opfer und Kaiser Augustus liess den Tempel im Rahmen seines grossangelegten baulichen Erneuerungsprogramms für Rom von Grund auf renovieren und demonstrierte damit seine Verbundenheit mit Aeneas.

Die Eingliederung in das römische Pantheon fiel indes sehr leicht, da man in ihr die Schutzpatronin der Vorfahren in Troja sah. Aus diesem Grund wurde sie von zahlreichen bekannten Schriftstellern (Catull, Lukrez, Ovid) respektvoll erwähnt, aber auch sogleich mit anderen Göttinnen gleichgesetzt, wie der griechischen Rhea, der römischen Tellus oder der Ops. Vom Namen her sprach man in der Antike stets von der Mater Magna (nie umgekehrt! - was vielleicht religiöse Gründe hatte), seltener von der Mater Idaea oder der Mater deum (deorum).

Nach dem durch die Göttin unterstützten Sieg über Karthago avancierte Kybele zu einem Fixpunkt im offiziellen Festkalender der Republik. Alljährlich fanden seit 204 v.Chr. zu ihren Ehren vom 4. bis 10. April die ludi Megalenses statt. Eigentlich wäre für Mater Magna der Spielname Matralia logisch gewesen, doch war dies bereits die Bezeichnung für die Spiele der Mater Matuta, sodass man auf die Megalesia in Pergamon zurückgriff.

Die Opfer im Rahmen des Staatskultes übernahm jedoch nicht ein Konsul, sondern der Stadtprätor. Dies lag wohl darin begründet, dass damals die orgiastischen Feiern nicht so recht zur römischen religiösen Sittenstrenge passten. Deshalb wurde anfangs die aktive Beteiligung von Bürgern an den Kulthandlungen verboten - d.h. man durfte kein Kybelepriester werden - und die übliche Sammlung von Gaben auf wenige bestimmte Tage beschränkt.

Es scheint auch, als habe die römische Aristokratie die Bedeutung der blutigen Begleiterscheinungen des Kultes am Anfang nicht wirklich einschätzen können. Im Vordergrund stand sicher die gedachte Anbindung an das trojanische Erbe. Erst als man sich konkret mit den orgiastischen Feiern konfrontiert sah, griff der Staat in erwähntem Sinne lenkend ein. Die Selbstverstümmelung wurde als barbarisch empfunden und auch nachdem sich der Kult im 1.Jh.v.Chr. etabliert hatte, konnte man als Kybelepriester auf gewisse „Hürden“ stossen. Der römischen Rechtsauffassung nach verlor man mit der Selbstentmannung nämlich das Geschlecht - man galt weder als Mann noch als Frau -, was sich bei Gericht und in Erbschaftsangelegenheiten deutlich negativ auswirken konnte. Von der allgemeinen gesellschaftlichen Ächtung ganz abgesehen.

Die Massnahmen griffen zunächst tatsächlich im geplanten Sinne und die Kultgemeinde hielt sich in Grenzen. Als Anhänger fungierten vor allem Orientalen, welche Kybele bereits kannten. Mit dem schleichenden Zerfall der Republik sollte sich dies jedoch ändern. Durch die Feldzüge im Osten machten immer mehr Römer Bekanntschaft mit orgiastischen Kulten. Ein Beispiel hierfür ist die Göttin Ma - eigentlich nur eine andere Form der Kybele -, welche im kappadokischen Komana heimisch war. Man setzte diese Göttin des Kampfes und der wilden Natur mit der römischen Bellona gleich. Ihre Anhänger - man nannte sie fanatici - betäubten sich mit Musik und Tanz um sich dann mit rituellen Waffen Wunden zuzufügen und das dabei gewonne Blut der Göttin geopfert. Dieser tranceartige Zustand wurde auch für Orakelsprüche genutzt. In Rom wurde die Nähe zum Kybelekult erkannt und sie als dea pedisequa (dienende Göttin; von lat. pedisequus für "auf dem Fuss folgend") eingeführt.

Doch nicht nur die Legionäre, auch Politiker gerieten in den Sog der orientalischen Religionen. Sulla etwa erschien die Göttin Ma im Jahre 88 v.Chr. während seines Konsulats im Traum und er nahm dies als gutes Omen für den Kampf gegen seine Feinde. Damit wurden die zu Ehren der Kybele abgehaltenen Spiele immer wichtiger.

Neben die Megalesia trat mit dem Frühlingsfest vom 22. bis 27. März ein zweites Fest, das schliesslich zum wichtigsten der beiden wurde. Am Tag des Frühlingsbeginns fällte man so eine Pinie und trug sie mit Binden umwickelt in einer Trauerprozession durch die Stadt zum Tempel der Magna Mater, wo langatmige Klagegesänge angestiftet wurden. Der Leichenzug sollte an den Selbstmord des Attis erinnern und erreichte am 24. März - dem dies sanguinis (Sanguen, Tag des Blutes) - seinen Höhepunkt, wo die galli (entmannte Priester) durch Musik, Gesang und Tanz in Ekstase gerieten und sich selbst mit heiligen Utensilien Verletzungen zufügten um dem Attis nachzueifern. Mit dem in den Ritualen „gewonnenen“ Blut wurde ein Bildnis der Göttin besprengt.

Es wird angenommen, dass im Rahmen dieser Zeremonie auch Priesternovizen aufgenommen wurden, die dabei entmannt wurden. Zwar lassen die Inschriften keinen Zweifel daran, dass dies von den Probanten selbst vorgenommen wurde, doch ist eher von einer sachkundigen Mithilfe erfahrener Spezialisten auszugehen, zumal unter Exstase neben den Schmerzen auch die notwendige chirurgische Genauigkeit stark vermindert war. Für dieses Ritual durften keine Metallwerkzeuge verwendet werden, sodass lediglich Steinmesser und Tonscherben in Frage kamen. Diese Vorschrift weist ebenfalls auf das hohe Alter des Kultes hin. Die Hoden gereinigt, symbolisch der Göttin geopfert und vermutlich in einem kernos (rituelles Lagergefäss) in einer unterirdischen Kammer gebettet. Kaiser Iulianus nannte diesen Vorgang in seiner Hymne an Magna Mater „Die heilige, unaussprechliche Ernte des Gottes.“ und verdeutlichte damit den Sinn dieses Ritualteils - nämlich die „Befruchtung“ der weiblichen Grossen Mutter mit den männlichen Hoden, d.h. der männlichen Lebenskraft schlechthin, der Menschen. Etwas überspitzt formuliert kann man darin einen kultischen Zeugungsakt sehen.

Nun folgten die hilaria (Freudentage - bestehend aus je einem Feier- und einem Ruhetag) bis zum 27. März, an dem das Fest mit der lavatio (rituelle Waschung) der Kultstatue beendet wurde. Auf einem Ochsenkarren zog man die Statue an das kleine Flüsschen Almo, wo ein Priester im Purpurgewand das Kultbild (und wohl auch die rituellen Instrumente) reinigte. All dies fand unter ekstatischer Flötenmusik statt. Dieses Ritual besitzt interessanterweise Pendants in Griechenland (Athene im Meer) und in Germanien (Nerthus in einem See).

In der Regierungszeit des Kaisers Gaius erfreuten sich östliche Religionen grossen Zuspruchs und der Herrscher selbst förderte besonders den Isiskult. Die immer orgiastischer und bombastischer werdenden Feierlichkeiten riefen dann seinen Nachfolger Claudius auf den Plan. Er förderte zwar den Kult - wohl um einen Gegenpol zur auch politisch mächtigen Isisgemeinde zu schaffen - griff jedoch auch in den Festzyklus ein und ordnete ihn in römischem Sinn neu. Damit wurden einerseits die Kritiker besänftigt und andererseits konnte der Kult neue moderatere Anhänger gewinnen. Dies zeigte sich besonders bei den Freigelassenen, die in dieser Zeit zur grössten Gruppe unter den Gläubigen wurden.

Eben diese ökonomisch erfolgreiche Schicht von Freigelassenen prägten in der hohen Kaiserzeit die Kultzentren. Neben Rom und Pessinus traten nun auch wichtige Handelsstädte, wie Carthago und Leptis Magna in Africa, Lyon in Gallien, Köln und Trier in Germanien sowie in Italien Ostia und Puteoli. Die Verbreitung erfolgte jedoch nicht gleichmässig. In den nördlichen Provinzen ist eine regere Kulttätigkeit erst ab dem späten 2.Jh.n.Chr. nachweisbar.

Alles in allem war der Kybelekult im gesamten Mittelmeerraum ein öffentliches Ereignis, an dem auch Nichteingeweihte teilhaben konnten. Dies galt jedoch nicht für die Mysterien selbst, die einem klassischen Geheimkult gleichkamen. Besondere Bedeutung - mehr noch als beim Isiskult - besassen hierbei die rituellen Musikinstrumente. Man schmückte etwa die heilige Pinie mit ihnen - was entfernt an einen modernen Weihnachtsbaum erinnert. Leider ist unklar wie weit diese Instrumente real für die Kulthandlungen benutzt wurden und nicht in der antiken Überlieferung als Metapher zu sehen sind (etwa für religiöse Lieder). Jedenfalls repräsentierten Pauken und Zymbeln als Hohlrauminstrumente den weiblichen Schoss, was auf uralte semitische Wurzeln zurückging.

Erwähnt wurde von spätantiken Schriftstellern auch ein Abstieg in die pastas (hier: Brautgemach; wohl aber auch in der Bedeutung Grablege). Was damit konkret gemeint wurde ist ebenfalls unklar. Möglicherweise handelte es sich um ein Äquivalent zu den heiligen Hochzeiten beim Isis- oder Mithraskult.

Ein wichtiger Bestandteil des Kultes war das Stieropferritual taurobolium (von grch. taueos „Stier & ballein „werfen“; auch criobolium zu grch. Krios „Widder“), das manchmal auch als eigenständiges Ritual unabhängig von anderen Kulten auftrat. Über die genauen Abläufe ist nichts bekannt und die Überlieferungen aus christlicher Zeit verzerren die Rituale bewusst ins abstossend-brutale. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Bedeutung als Stieropfer erst Anfang des 2.Jh.n.Chr. wirklich gesichert ist und davor grch. taurobolion noch eine Stierhetze in der Arena kennzeichnete. Dieses archaische Ritual stellte einen Rest prähistorischer Jägerkulturen dar, in denen es galt die Kraft des erlegten Tieres auf den Jäger zu übertragen.

Im weiteren werden drei Entwicklungsphasen angenommen, die stets auch parallel existierten: Zunächst die Opferung der vires tauri (Stiergenitalien) als besondere Weihe an Kybele und Erinnerung an Attis, dann ergänzend die Fassung des Stierblutes in einem cernus (Opferschale) samt Übergabe desselben an den Weihenden zwecks Opferung und schliesslich das modern „Bluttaufe“ genannte Ritual. Dabei stieg der tauroboliatus (Weihender; Altarstifter) in die fossa sanguinis (Blutgrube; ein lateinischer Begriff der neuzeitlichen Archäologie) über der sich ein hölzerner Rost befand auf dem der Opferstier geschächtet - das Ausbluten von Opfertieren ist auch in Judentum und Islam bekannt - wurde. Das Blut rann durch den Rost und berieselte die darunter stehende Person an Gesicht und Kleidung. Dieser reinigende Taufprozess - vgl. hierzu in der Bibel: Mt 27,25 (...respondens universus populus dixit sanguis eius super nos et super filios nostros! „Da rief das ganze Volk: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“) galt auch als neuer zweiter Geburtstag.

schematische Darstellung des Tauroboliumrituals
ex libro H.Kloft "Mysterienkulte der Antike" (c) M.J.Vermaseren in libro "Cybele and Attis"

Fester Bestandteil scheint danach die Weihe eines Altars - mit der feierlichen Angabe des Datums und des tauroboliatus - gewesen zu sein. Anwesend waren ein eingeweihter Priester und angesehene Mitglieder des Kultes. Als frühestes Datum ist hierbei das Jahr 160 n.Chr. zu nennen, als in Lugdunum (Lyon) ein Altar gestiftet worden war. Eine besonders hohe Dichte an Altären gab es naturgemäss in Rom, sodass man neben dem Tempel auf dem Palatin das sogenannte Phrygianum (phrygischer Tempel) als Aufstellungsort für solche Altäre errichtete. Nicht aufklärbar war bislang der religiöse Sinn einer Altarinschrift in aeternum renatus (in Ewigkeit wiedergeboren) des Jahres 376 n.Chr. Handelte es sich dabei um den Glauben an eine Wiedergeburt - wie sie etwa im Mithraskult nachzuweisen ist - oder um eine Reinigung der Seele nach dem Tode? Jedenfalls schien diese „Wiedergeburt“ nicht ewig zu sein und wurde gelegentlich nach zwanzig Jahren erneuert.

Kybele über einem Relief der Vestalin Claudia Quinta. Diese bewies ihre angezweifelte Jungfräulichkeit dadurch, indem sie das im Tiber auf Grund gelaufene Schiff mit der Kybelestatue nur durch ihren Gürtel ziehend wieder flott machen konnte, wohingegen eine Anzahl Männer mit Seilen gescheitert war.
ex libro W.Vollmer
"Wörterbuch der Mythologie"


Quellen: H.Gärtner "Kleines Lexikon der grch. & röm. Mythologie", H.Kloft "Mysterienkulte der Antike", W.Vollmer "Wörterbuch der Mythologie", "Biblia Sacra Vulgata", "Der kleine Pauly"

 

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