Version LX

KULTUR
Medizin


DEUTUNGEN I
DEUTUNGEN II

zurück zur
Seuchenübersicht

zurück zum
Medizinindex

zurück zur
Übersicht Kultur

zurück zum Index

Naturwissenschaftliche Deutung

Medizinische Deutung von Seuchen

Die Zahl jener, die in der Antike Seuchen nicht als alleinig der religiösen Sphäre zurechenbare Ereignisse sahen, ist grösser als man heutzutage vermuten möchte. Erst das frühchristliche Mittelalter sollte medizinische Erklärungsmodelle vollkommen in den Hintergrund treten lassen.

Als grössten Einflussfaktor sah man das Klima an, sodass Ärzte nach feuchten Jahren, Dürren oder allgemeinen Missernten meist ganz gut Epidemien voraussagen konnten. So erwartete man 430 v.Chr. in Athen (dem Jahr als die Attische "Pest" ausbrach) keine Seuche infolge des Klimas. Das Zauberwort in der Erklärung von Seuchen lautete miasma (grch. Befleckung, Untat, Frevel), worunter man eine Verunreinigung der Luft durch Ausdünstungen des Bodens bzw. dessen damit verbundene Vegetation (z.B. Sümpfe) verstand. Auch die witterungsbedingte Getreidequalität wurde hier eingereiht.

Obwohl man die grundlegenden Mechanismen noch nicht kannte, schloss man aus den Krankheitsverläufen, dass Ansteckungen meist von Mensch zu Mensch passierten, einige wenige immun sein konnten und manche Seuchen nach ihrem Auftritt zu Immunisierung der ehemals Betroffenen (und damit Überlebenden) führten. Auch bekannt war, dass eine überproportionale Ansammlung von Menschen rasch zu einer Epidemie führen konnte. Zudem kannte man bereits den Unterschied zwischen Epidemie und den nosemata endema (grch. "im Land vorhandene Krankheiten"), die lokal vorhanden waren und nicht in grossen Wellen über alle Länder hinwegschwappten. Endemische Seuchen wurden mit lokalen geografischen und klimatischen Bedingungen in Zusammenhang gebracht.

Um einer naturwissenschaftlichen Deutung den Vorzug zu geben, musste man allerdings ein gewisses Bildungsniveau mitbringen. Ausserdem hatte die religiöse Sichtweise den Vorteil, dass sie Gemeinschaften zusammenschweissen konnte und nach dem Abklingen der Seuche das Wir-Gefühl stärkte. Eine rein medizinische Erklärung konnte diese gesellschaftlich wichtigen Aspekte nicht hervorbringen, da sie noch keine wirksamen Heilmittel hervorbrachte.

Deutung als biologische Kriegsführung

Interessant ist, dass frühe Formen der biologischen Kriegsführung zwar literarisch erwähnt werden (Brunnenvergiftung, etc.), doch diese Massnahme nur sehr selten als Erklärungsmodell für das Auftreten einer Seuche herangezogen wurde. Selbst im belagerten Athen von 430 v.Chr. hielt sich ein diesbezügliches Gerücht nur sehr kurz, als klar wurde, dass auch jene betroffen waren, die nicht vom angeblich verunreinigten Wasser getrunken hatten.

Pogrome aus diesen Gründen blieben in der Antike eine Ausnahmeerscheinung. In diesem Punkt war man damals einerseits weit mehr für logische Zusammenhänge zugänglich bzw. andererseits war der Erklärungshorizont der antiken Religion wesentlich grösser, als im Mittelalter, wo man angebliche Brunnenvergifter und Salbenschmierer (d.s. Personen, die Krankheiten enthaltende Salben an Häusertüren schmierten um deren Bewohner zu infizieren) reihenweise zu Tode brachte.

Mangelnde Getreidequalität bot in der Antike ein grosses Potenzial für Massenerkrankungen


Quellen: K-H.Leven "Antike Medizin", M.Meier "Pest", "Der kleine Pauly"

 

Sie wollen Fragen stellen, Anregungen liefern oder sich beschweren?
Dann klicken Sie auf meine Kontaktseite!

(PL)