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ATTISCHE "PEST"

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Die Attische "Pest" von 430 v.Chr.

Einleitung

Die Attische "Pest" ab 430 v.Chr. gehört zu den einschneidendsten Ereignissen der Geschichte von Athen, denn sie sollte den Machtverlust der Stadt einläuten. Beredetes Zeugnis über den Verlauf der Seuche lieferte der Schriftsteller Thukydides, der in seinen Erzählungen über den Peleponnesischen Krieg das Massensterben detailreich und in bewusst politischem Zusammenhang berichtete.

Die Lage vor dem Ausbruch der Seuche

Im Spätsommer 432 v.Chr. hatten die Spartaner ihre Verbündeten nach Sparta berufen und berieten über einen Friedensbruch der Athener. Parallel wurde eine Gesandtschaft zum Orakel von Delphi geschickt, um den Willen der Götter zu ergründen. Der überlieferte Orakelspruch war wie wohl die meisten unverbindlich: "Krieg nach Kräften geführt, bringe den Sieg, und er selbst werde mit zugreifen, wenn man ihn riefe, aber auch ungerufen." Die Spartaner glaubten nicht so recht, an den für sie eigentlich günstigen Spruch und versuchten die Athener noch mittels Verhandlungen zum Nachgeben zu bringen (Athen blockierte die Stadt Megara und schnitt sie vom Handel ab.). Die gegenseitigen Forderungen blockierten schlussendlich eine Lösung und es kam zum Krieg; einer Auseinandersetzung, die nach dem athenischen Staatsmann Perikles notwendig war. Der sog. Peleponnesische Krieg zwischen den beiden Bündnissystemen sollte denn auch von 431 bis 404 v.Chr. andauern.

Athen bot nur wenige Angriffsmöglichkeiten, sodass sich die Stadt vorerst in eine für sie sichere Defensivstellung begab. Das Land vor der Stadt wurde geräumt und die Menschen samt ihrer Habe hinter die 460 v.Chr. errichteten Langen Mauern verbracht. Derweilen konnten die Spartaner dieses Land verwüsten, womit die Athener allerdings gerechnet hatten. Zur Verteidigung gegen einen Sturmangriff standen 16.000 Mann bereit und die übermächtige athenische Flotte wartete nur auf günstige Gelegenheiten ihre Feinde zur See zu stellen. Die Führung stellte sich auf eine längere Belagerung ein. Den Menschen von ausserhalb der Stadt gefiel diese Umsiedlungsaktion jedoch ganz und gar nicht. Man empfand es beinahe wie die Vertreibung aus der Heimat. Zudem dürfte man den Versorgungs- und Platzbedarf unterschätzt haben.

Die gewählte Taktik ging vorerst auf, denn die Spartaner hatten keinen Gegner und konnten nichts anderes tun als das Umland zu verwüsten. Sie hofften deshalb auf Spannungen in Athen, die ein Einschreiten gegen die Verwüstungen herbeiführen konnten. Doch Perikles liess sich nicht beirren und verweigerte den Spartanern die Feldschlacht; nur die Reiterei wurde dazu angehalten Plänklerdienste zu verrichten. Vielmehr wurde die Flotte siegreich eingesetzt und auch die Landschaft Megara besetzt. Den ca. 32.000 Mann konnten die Spartaner kaum etwas entgegensetzen und das erste Kriegsjahr verlief für Athen äusserst günstig.

Die Spartaner wussten sich auch im zweiten Kriegsjahr nichts besseres, als die Umgebung von Athen wiederum dem Erdboden gleichzumachen. Doch diesmal schien Apollo sich wie im Orakelspruch angekündigt einzumischen, denn kaum stand der Feind wieder vor den Toren Athens, brach innerhalb der Stadt die "Pest" aus.

Die Seuche bricht aus

Thukydides berichtete, dass die Seuche aus Äthiopien kam, sich über Ägypten und Libyen in das Perserreich ausgebreitet hatte und nun Athen erreicht hatte. Diese Darstellung wird heute angezweifelt, da die Stadt von den erwähnten Gebieten am meisten isoliert war. Da die ärztliche Kunst versagte und auch die Bitten an die Götter keine Hilfe brachten, versank die Stadt in Apathie. Ein Gerücht, wonach die Spartaner Brunnen vergiftet hätten, lief nur kurz um, als klar wurde, dass auch jene Menschen betroffen waren, die ihr Wasser nicht aus den Zisternen entnahmen.

Der antike Schriftsteller lieferte ein plastisches Bild über die Auswirkungen der Seuche, die jede Person befiel - egal welchen Alters, welcher Konstitution und welchen Standes. Die Menschen begannen einander zu meiden und liessen die Erkrankten einsam vor sich hinsterben. Nachdem die meisten Ärzte dem ersten Krankheitsschub erlegen waren, waren es vor allem jene wenigen, die genesen waren, welche sich um die Versorgung der Opfer kümmerten. Man hatte erkannt, dass die Seuche kaum jemanden befiel, der sie erfolgreich hinter sich gebracht hatte. Dennoch zerfiel die Gesellschaft, die Toten wurden nur mangelhaft auf die Scheiterhaufen geworfen und die Gesetze hatten ihre Bedeutung verloren.

Perikles appellierte an das Volk nicht den Mut zu verlieren, doch er wurde vorerst vom Amt des Strategen abgewählt. Man machte ihn moralisch für die Seuche verantwortlich, ohne allerdings die tatsächlichen Umstände (Nahrungsmangel, Übervölkerung) ernst zu nehmen. Während der nächsten Jahre stiegen die Opferzahlen weiter und auch Perikles' Familie und Freunde wurden zu ihren Opfern. Schliesslich wurde er zum Strategen wiedergewählt, doch konnte er sich nicht lange des Amtes erfreuen, da auch er der "Pest" erlag.

Der zweite Seuchenschub

Nach zweijährigem Wüten zeitweilig abgeklungen, flammte die Seuche im Winter 427/426 v.Chr. erneut auf, als die Spartaner wieder vor Athen standen und damit nochmals Flüchtlinge in die Stadt kamen. Diesmal dauerte sie ein gutes Jahr und rechnet man die überlieferten Todeszahlen für die politische Oberschicht auf die Stadt hoch, so dürften ein gutes Viertel der jungen männlichen Bevölkerung den Seuchentod gefunden haben. Erst 415 v.Chr. schien sich Athen von der "Pest" wieder erholt zu haben, da man nun wieder an gewaltige Offensivmassnahmen denken konnte.

Suche nach Erklärungen für das Massensterben

Natürlich brütete man darüber, was die Seuche verursacht hatte. Da auch den Athenern der Orakelspruch für die Spartaner bekannt war, rätselte man über den Frevel, den man gegenüber den Göttern hatte angestellt. Daraufhin fand man zwei Ereignisse, die passten.

Um 630 v.Chr. hatte der Olympiasieger Kylon versucht in Athen die Tyrannis gewaltsam einzuführen. Nachdem sie sich verschanzt hatten, flohen sie - angesichts eines drohenden Hungertodes - zu einem Altar. Obwohl sie dadurch freies Geleit hätten bekommen müssen, begann man sie niederzumetzeln; manche sogar an den heiligen Stätten selbst. Zwar wurden die Verantwortlichen für diesen Frevel später aus der Stadt verbannt, doch konnten sie bald wieder zurückkehren und gehörten zum bestimmenden Teil der Athener Oberschicht - einer von ihnen hiess Perikles... Nach längerer Diskussionen war klar, dass dies ein von den Spartanern erwünschtes Szenario gewesen war, das sich mit dem Tod des Perikles ohnedies in Luft auflöste.

Ernster nahmen die Athener eine Verfluchung, wonach sie ein im Stadtgebiet gelegenes heiliges Gelände - das Pelargikon - während der Belagerung überbaut und so den Zorn der Himmel herbeigeführt hatten. Um diesen Grund zu beseitigen schickte man wie üblich eine Gesandtschaft zu einem Orakel zur Erkundung des Götterwillens.

Naturwissenschaftliche Erklärungen spielten eine eher untergeordnete Rolle, obwohl man Ansteckungswege und Immunisierungen im konkreten Fall schon ganz gut einschätzen konnte. Der Blickwinkel wurde zudem durch die Belagerung und den Wunsch der Kriegsführung verstellt.

Retrodiagnose

Schon seit dem frühen 19.Jh. sann man darüber nach, welche Epidemie Athen damals heimgesucht haben könnte. Da die echte Pest erst 541 n.Chr. den Mittelmeerraum erreichte, kann sie für das Massensterben ausgeschlossen werden. Zudem passen die von Thukydides überlieferten Symptome nicht auf die Pest. Die zahlreichen Deutungsversuche führten auch zu weit hergeholten Krankheiten und wurden zumeist auch gleich widerlegt. Folgendes gilt als gesichert:

- Sommer- als auch Winterseuche
- Ansteckung durch Kontakt mit Erkrankten
- vorübergehende Immunisierung von Genesenen
- Sterblichkeit bei ca. 25 %
- Hautauschlag mit Bläschen oder Blattern
- leichtes Fieber
- Erbrechen & Durchfall
- manchmal lokaler Gewebetod & Erblindung
- Gedächtnisverlust
- Anthropozoonose (gleichzeitiger Befall von Menschen und Tieren)

Lange Zeit hielt man die Pocken dafür verantwortlich, da aber niemand die entstellenden Narben erwähnte und sich die Seuche als endemische Kinderkrankheit hätte weiterverbreiten müssen, neigt man heute dazu sie auszuschliessen. Anders sieht die Sache beim bakteriellen Fleckfieber aus, die mittels Läuse übertragen wird. Fleckfieber ist zudem eine typische "Belagerungskrankheit", da mangelnde Hygiene eine Hauptrolle spielt. Dennoch passen wiederum einige Symptome nicht, sodass es sich auch um eine heute nicht mehr auftretende Seuche handeln könnte.

Im Jahre 1994 wurde eine neue Erklärung in die Diskussion eingebracht. Demnach wäre Athen eigentlich nicht von einer Seuche heimgesucht worden, sondern durch ATA (Alimentary Toxic Aleukia), einer natürlichen Vergiftung des Weizens. Es wurden Parallelen mit der UdSSR in den 30er und 40er Jahren des 20.Jh. gezogen, wo es zu epidemieähnlichen Vergiftungen kam, die man anfänglich für Diphtherie oder Cholera gehalten hatte. Die meisten oben angeführten Symptome würden auf diese Massenvergiftung von schlechtem Getreide passen. Möglich könnte auch eine tödliche Kombination beider Elemente zu sein; einer Seuche und ATA.

Mangelnde Getreidequalität bot in der Antike ein grosses Potenzial für Massenerkrankungen


Quellen: K-H.Leven "Antike Medizin", M.Meier "Pest", "Der kleine Pauly"

 

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(PL)