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Bibliotheken im alten Griechenland

Die Bibliotheken im Einflussbereich der Kulturen Mesopotamiens und Ägyptens hatten mit ihren modernen Pendants nur wenig gemeinsam und auch die ersten Bibliotheken Griechenlands glichen Verwaltungsarchiven.

Die griechische Kultur trat zum ersten Mal zwischen 1600 und 1200 v.Chr. in das Licht der Geschichte. Dieser Zeitraum wird als das „Mykenische Zeitalter“ bezeichnet. Damals gab es nur wenig von dem, das man heute als typisch antik-griechisch bezeichnet. Könige regierten mit orientalischem Allmachtsanspruch von ihren Palästen aus das Land und die zentralisierte Verwaltung benötigte - wie in den bereits beschriebenen Kulturen - eine Schrift zur Aufzeichnung der Palastökonomie.

Damals sprach man eine Frühform des Griechischen und man begann sie in eine Art Silbenschrift in Tontäfelchen zu ritzen. Die tausenden Täfelchen, die aus den Palastruinen geborgen werden konnten, betrafen ausschliesslich Urkunden und Güteraufstellungen. Literarische Werke, wie sie etwa in Assyrien ab und zu auftauchten, fehlen vollständig.

Um 1200 v.Chr. ging in weiten Teilen Griechenlands die Königsherrschaft zu Ende und die Städte wurden verlassen oder zerstört. Da die Schrift ausschliesslich für die Palastökonomie verwendet worden war, ging das Wissen um sie, da es nichts mehr gab, was zu verwalten gewesen wäre, verloren. Erst nach einem mehr als 300jährigen Interregnum begann sich die griechische Kultur so zu entfalten, wie sie uns heute erscheint; mit all ihren Dramen, der Philosophie und der Geschichtsschreibung. Dies war dann auch der Geist, der die Weiterentwicklung des antiken Bibliothekswesens vorantrieb.

Bevor all dies passierte, hatten die Griechen noch eine harte Nuss zu knacken: die Schrift. Die alte Silbenschrift war seit Jahrhunderten verloren und zu einer eigenen Neukreation war man damals nicht imstande. Man kannte jedoch die Vorteile von Geschriebenem. Um das Jahr 1000 v.Chr. entwickelte das Handelsvolk der Phönizier die Alphabetschrift und verbreitete sie durch ihre Reisen im ganzen Mittelmeerraum. Durch den engen Kontakt mit den nordafrikanischen Niederlassungen der Phönizier gelangte die Schrift auch nach Griechenland. Sie eignete sich nach einigen Modifikationen viel besser als die umständlichen Keilschriftsymbole zur Wiedergabe der griechischen Sprache. Durch die viel geringere Zeichenzahl wurde ein wichtiger Grundstein für eine allgemeine Lese- und Schreibfertigkeit gelegt, was wiederum auf das Bibliothekswesen Auswirkungen haben sollte.

Der Beruf des Schreibers war in Griechenland überflüssig. Dafür bestand nun eine erhöhte Nachfrage nach qualifiziertem Lehrpersonal, die die Kulturtechnik des Schreibens einer grösseren Masse von Menschen weitergeben konnten. Je mehr Leute nicht nur einfach mit dem Kopieren von Texten beschäftigt waren, desto mehr konnten sich die Schriftkundigen der Textproduktion widmen. 405 v.Chr. war das Sammeln von Büchern aber noch so exotisch, dass sich Aristophanes über seinen Kollegen Euripides lustig machen konnte. Im 4.Jh.v.Chr. erwähnte Xenophon in einem seiner Werke bereits Privatbibliotheken und wählte eine solche sogar als Schauplatz einer seiner Komödien.

Das Vorhandensein zahlreicher neuer Texte führte in den aufstrebenden Städten Griechenlands zu einem neuen Berufszweig: dem des Buchhandels. Sobald Bücher käuflich erworben werden konnten, stand dem Aufbau von Privatbibliotheken nichts mehr im Wege (ausser den finanziellen Möglichkeiten natürlich). Nun konnte sich der literarisch interessierte Mensch jene Bücher zulegen, die ihn interessierten. Damit entstanden die ersten Sammlungen von Fachliteratur, die in weiterer Folge den Grundstein für die öffentlichen Bibliotheken legten.

Der Geograph Strabon nannte Aristoteles als den ersten systematischen Büchersammler. Aristoteles war ein ausserordentlich wissensdurstiger und deshalb belesener Mann gewesen. Um seine riesige Privatbibliothek effizient nutzen zu können, ordnete er sie konsequent und richtete auch den Neuerwerb daran aus. Die Ptolemäer in Ägypten machten sich dieses System später für ihre Grosse Bibliothek zu nutze.

Bevor es zur Gründung der Grossen Bibliothek in Alexandria kam, erfanden die Griechen noch etwas Wichtiges: die beglaubigte Abschrift für ein Archiv. Bei Theateraufführungen in Athen liessen die Schauspieler offenbar ihrer Phantasie so viel freien Lauf, dass sich der Gesetzgeber Lykurg in den Jahren 338 bis 325 folgendes Dekret zu erlassen gezwungen sah:

„Abschriften der Tragödien [von Aischylos, Sophokles und Euripides] sind im Archiv aufzubewahren, und der Stadtschreiber soll sie den Schauspielern vorlesen, damit sie einen Vergleich haben, von dem sie nicht abweichen dürfen.“

Später eigneten sich die Ptolemäerkönige diese Abschriften mittels unsauberer Methoden an. Solche beglaubigten „Originaltexte“ waren von jeder Bibliothek heiss begehrt, da das Problem von Fehlern und Veränderungen im Text weitaus grösser war, als heutzutage. Zu eruieren, welche Textfassung dem Original entspricht, war eine langwierige und mühsame Arbeit.

Die ersten schriftlich überlieferten Büchersammlungen gehen auf Peisistratos von Athen (Tyrann von 561 bis 528 v.Chr.) und Polykrates von Samos (Tyrann von ca. 538 bis 522 v.Chr.) zurück. Die damaligen Herrscher waren dafür bekannt, Förderer von Kunst und Gelehrsamkeit gewesen zu sein. Ihr Mäzenatentum brachte Broterwerb für Dichter, Sänger und andere Kunstschaffende. Zu dieser Zeit war das Lesen solcher Werke nicht verbreitet; sie wurden vorgetragen und gehört. Der erste, von dem bekannt ist, dass er eigenhändig ein Werk niedergeschrieben hat, war Hesiod um 700 v.Chr. Etwas später wurden komplexe Metriken in der Dichtung verwendet. Es ist davon auszugehen, dass sie deswegen auch niedergeschrieben wurden (z.B. die Poesie des Archilochos von Paros in der 1.Hälfte des 7.Jh.v.Chr. oder der Sappho um 600 v.Chr.).

Der Inhalt dieser ersten Bibliotheken bestand wahrscheinlich aus der weitverbreiteten Adelsdichtung sowie den Niederschriften der bei den Festen aufgeführten Dramen. Sie dürften nicht öffentlich zugänglich gewesen sein und wurden vielleicht als Teil des staatlichen Archivwesens angesehen.

Bislang wurden hauptsächlich Dichtungen niedergeschrieben. Ab dem 7.Jh.v.Chr. entstanden nun in Ionien die ersten wissenschaftlichen Abhandlungen. Zu den Ersten dieser neuen Literaturgattung gehörte Thales von Milet (1. Hälfte des 6.Jh.v.Chr.) und seine Schüler Anaxagoras und Anaximander. Dazu gesellten sich noch die Philosophen Heraklit und Xenophanes. Die Vorläufer der Historiographien und der Geografie erscheinen ebenfalls in dieser Zeit. Es dauerte nicht lange und auch andere Wissenszweige machten davon Gebrauch (z.B. die Architekten Rhoikos und Theodorus, die ein Buch über einen von ihnen entworfenen Tempel verfassten).

Es ist anzunehmen, dass all diese Autoren über die Werke anderer Bescheid wussten und entsprechende Aufzeichnungen zur Verfügung hatten. Die thalische Berechnung der Sonnenfinsternis von 585 v.Chr. wäre ohne Hinweise orientalischer Texte nicht vorstellbar. Diese Texte dürften sich meist von den anderen Literaturgattungen dadurch unterschieden haben, dass sie wirklich für das stille Lesen verfasst waren und somit auf Metrik und sonstige Stilistik verzichteten.

Die Autoren waren sich der Wirkung ihrer Werke bewusst und manche begannen dies beim Verfassen der Texte einzukalkulieren. Heraklit hinterlegte sein Werk im Artemision von Ephesos und Hekataios machte sich seinem anonymen Publikum erst bekannt, bevor er seine Erdbeschreibung begann.

Als all dies immer mehr zunahm, begann man auch die Gesetze der Städte zu kodifizieren und in staatlichen Archiven zu verwalten. Privatabschriften existierten ebenfalls für jene (reiche Oberschicht), die rechtskundig am politischen Prozess teilnehmen wollten.

Das stete Anwachsen der literarischen Produktion und die Verbreitung des Buchhandels bedeuteten auch eine Erleichterung für die Oberschicht sich eine private Büchersammlung anzulegen. Die Bestände werden aber trotzdem nicht über ein bescheidenes Mass hinausgegangen sein. Pflichtlektüre waren sicher Homer und Hesiod. Dazu werden einige philosophische, lyrisch oder historiographische Rollen gekommen sein. Berühmte Personen verfügten dagegen über schon ansehnliche Bestände. Euripides hatte etwa einen eigenen Schreiber namens Ktesiphon. Vom Athener Archon Eukleides (403/402 v.Chr.) ist die Existenz einer grösseren Sammlung gesichert. Demosthemes soll vom Peloponnesischen Krieg des Thukydides eigenhändig mehrere Kopien angefertigt haben.

Die Überlieferung bezüglich der Bibliotheken ausserhalb der grossen Ballungszentren ist sehr vage. Meist sind derartige Einrichtungen nur durch Stiftungssteine belegt, die den Namen des Wohltäters nennen. Beispiele hierzu sind etwa die Inseln Kos und Rhodos. Diese Lokalbibliotheken standen wahrscheinlich mit den Gymnasien in Verbindung. In Athen war dies das Ptolemaion, dessen Name sich wohl vom Stifter (ägyptische Könige) herleitete.

Die reichen Epheben vermachten der Bibliothek zahlreiche Schriftrollen. Man kennt sogar in Stein gemeisselte Bestandskataloge die zeigen, dass überwiegend Komödien und Tragödien gelesen wurden. Prosatexte waren sehr selten. Auf Rhodos fand man eine Inventarliste in alphabetischer Reihenfolge mit Kurzkommentar zum Autor:

Hegesias, Lobredner der Athener
- Aspasia (eins)
- Alkibiades (eins)
Theodektes, Kunst [der Rhetorik] (vier)
- Über die Amphiktyonie (eins)
Theopompos, Über Sparta (eins)
- Über die Pan-Ionier (eins)
- Mausolos (eins)

Die Bücher schienen nach der Thematik katalogisiert worden zu sein. Das auf uns gekommene Mauerstück umfasste vor allem Werke über Politik und Geschichte. Für die Benutzer war die Handhabung sehr einfach. Sie brauchten nur die Wand abzuschreiten um etwas zu suchen. Wie Neuerwerbungen verzeichnet wurden, ist hingegen nicht bekannt. Vielleicht hatte die Bibliothek einen Fixbestand und Neuerwerbungen waren auf Schriftrollen nachzusehen.

Im 4.Jh.v.Chr. versammelten sich in den Herrscherpalästen wieder die Künstler und Gelehrten. Klearchos, Tyrann von Herakleia Pontike hat dort die erste Bibliothek gegründet. Unter Athenischer Anleitung richtete sich auch der kyprische König Nikokles eine Sammlung ein. Im Gegensatz zu den alten Tyrannen einige Jahrhunderte zuvor, spielte der Geschmack und das Interesse des Regenten bei der Anschaffung der Werke eine Rolle. Philipp II. von Makedonien begeisterte sich besonders für Witze. Den attischen Komikern liess er deshalb auch gleich ein Talent spendieren. Sein Sohn Alexander d.Gr. führte auf seinen Feldzügen in Asien immer eine transportable Büchersammlung mit. Sie beinhaltete hauptsächlich klassische Tragödien, aber Werke des Telestes und des Philoxenos. Die Nachfolger Alexanders sollten sich an die Tradition der alten Tyrannen erinnern und die grössten Sammlungen ihrer Zeit zusammentragen.

Tabula duplex
(grch. Diptychon),
Römische Wachstafel für Notizen samt Schreibgriffel

 


Quellen: W.Hoepfner "Antike Bibliotheken", L.Casson "Bibliotheken in der Antike", "Der kleine Pauly"

 

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(PL)